28. September 2010 20:00 Uhr
Literarisches Zentrum (Düstere Straße)
»Die ganze Wahrheit«
Einen polymorphen Titel hat Norbert Gstrein seinem neuen Roman gegeben: Die ganze Wahrheit (Hanser 2010). Da geht es um eine Verlegerwitwe, die nach dem Tod ihres Mannes ein Buch über diesen schreibt und seine Lebensgeschichte retuschiert, alte Liebschaften tilgt und sich selbst ins rechte Licht setzt. Ironisch reflektiert hier Gstreins Titel. Sein Erzähler, ein Verlagslektor und Freund des Verstorbenen, setzt dem der Witwe ein eigenes Buch entgegen – den Text, den man hier vorliegen hat. Viele werden Gstreins Buch vermutlich als Schlüsselroman lesen, aber er ist um einiges facettenreicher. Immer schon beschäftigt den Autor das Problem von Realitätsdarstellungen. Oft wählt er einen Ausgangspunkt in der Historie, bewegt sich von dort in mehrschichtiger Erzählstruktur und mit distanzierter Kühle in die Fiktion und umkreist die Leerstellen der Narration. So schimmert der Titel schließlich metapoetisch und funkelt sprachtheoretisch.
Der Literaturwissenschaftler Gerhard Kaiser nimmt sich dieses gestaltwandlerischen Titels an und spricht mit Norbert Gstrein über die ganze Wahrheit.