10. März 2010 20:00 Uhr
Literarisches Zentrum (Düstere Straße)
»Kürzere Tage«
Anna Katharina Hahn hat einen viel beachteten Roman geschrieben. Einen Gesellschaftsspiegel der Wohlsituierten, der Aufsteiger und der Verlierer. Ein Sittenbild voller Formeln und Codes. Zugleich ist es eine Dokumentation über die Sinnsuche des Ichs innerhalb dieser Struktur und den damit verbundenen Identitätskonflikt. Klaustrophobische Abgrenzungszwänge, die Kompensation der abhanden gekommenen Selbstbestimmung. Hahn gibt den Blick frei auf das Kollektiv Familie und seine Kleinteile innerhalb einer filigranen Stuttgarter Modellbauwelt. Sie erzählt von Menschen, deren private wie berufliche Ideale ins Diffuse abgeglitten sind. Von Übermüttern, deren Alltag sich an anthroposophische Dogmen klammert und Karrierefrauen, die an der Mitte zwischen Härte und Weichheit verzweifeln und von dem, was sie verbindet. Schicht für Schicht wird die aufgeschminkte Unbeschwertheit abgetragen, werden die retuschierte Angst und die verborgenen Depressionen freigelegt. Das nackte Selbst ist eingespannt in künstlich geschaffene Identität – bis die Sterne aus Goldglanzpapier verglühen. – Anna Katharina Hahn liest aus Kürzere Tage (Suhrkamp) und spricht mit der Philosophin Michaela Rehm (Bielefeld/Göttingen).