30. April 2009 20:00 Uhr
Literarisches Zentrum (Düstere Straße)
Die Stille nach dem Schluss
Viele bohren nur, reißen auf, nähen notwendig zusammen. Ganze Skelette unter Narben frei legt Reinhard Jirgl. Frakturen zeigen Weltgeschichte, Weltschmerz Seelenbrüche. Als DDR-Dissident und »Baal der Gegenwartsliteratur« wurde er weder im Osten noch im Westen verlegt. Die Wende dann: Übergang vom »Kommunistischen Manifest zum Globalistischen Money-Fest«. Spätestens seit „Abschied von den Feinden“ (1995) wird bei Jirgl „Ostmoderne“ diagnostiziert. In seinem neuen Roman „Die Stille“ (C. Hanser) seziert er die Geschichte zweier aus Ostpreußen und Niederlausitz stammenden Familien. Dabei schlägt er sich an sämtlichen Voraussetzungen unserer Konsumgesellschaft Kopf und Sprache blutig. Er leidet unter unausrottbarem Untertanengeist, ferngesteuertem Intellekt, standardisierten Gefühlen. Jirgl fügt nichts notwendig zusammen. Seine operativen Eingriffe in Typografie und Orthografie, die Schichtung, Mehrbelichtung und Wortdichte seiner Bilder bewahren vor flüchtigem Lesen, vor Passivität im Bilderrausch. »Schurnalisten-Hohn-oh-rar« oder »Big Bißness« sind keine Wortspiele, sondern Instrumente seiner Ideologiekritik. Darüber, wie Worte zusammenhalten, spricht Jirgl mit dem Kritiker und Autor Helmut Böttiger (Berlin).